Wie eine Familie
Lieber Chef vom Ganzen. Ich arbeite in einer grossen Personalvermittlung (sagt man heute zwar nicht mehr, obwohl verständlicher als Human-Resource-Management). Das Erstaunliche ist, dass ich gerne hier arbeite. Es ist die erste Stelle, die ich länger als ein halbes Jahr mache, im Herbst sind es zwei. Mein Problem ist, dass ich das Gefühl habe, etwas zu verpassen, wenn ich hier sitzenbleibe. Immerhin habe ich studiert. Aber die Abteilung ist wie eine Familie. Ich klinge sentimental, ich weiss. (Lese Ihre Kolumne sehr gerne.). Tom, Sachbearbeiter, 30
Lieber Tom
Schon bald werden Sie Abschied nehmen. Ja, es wird weh tun. Man wird Ihnen von ganzem Herzen Glück wünschen. Denn man mag Sie, dort, wo Sie jetzt sind. Aufrichtig und ehrlich. Und trotzdem. Sie brechen auf, gehen weiter, um eine neue Welt zu entdecken. Bei einem neuen Arbeitgeber. Neue Aufgaben werden Sie erwarten. Neue Kolleginnen und Kollegen. Freuen Sie sich auf das Kribbeln im Bauch. Die Ungewissheit. Und das gute Gefühl, das Richtige zu tun. Das Richtige für Ihre berufliche Zukunft.
Sie verfügen über das Privileg, aus einem wunderbaren Umfeld heraus etwas Neues anzugehen. Das ist es, was sich alle Eltern für ihre Kinder wünschen. Deshalb tragen sie sie auf Händen, bevor sie auf eigenen Füssen stehen.
Aber Sie sind ja kein Kind mehr. Die positive Erfahrung bei der Personalvermittlung (okay, sagen wir Human-Resource-Management) im Rucksack macht Sie für Arbeitgeber äusserst attraktiv. Denn Bewerber, die aus Frust, Verzweiflung oder Not nach einer Stelle lechzen, hinterlassen meist ein zwiespältiges Gefühl. Man möchte ihnen einerseits helfen. Als vorbildlicher Arbeitgeber mit sozialem Gewissen. Sucht aber andererseits eigentlich nach jemandem, der einem selbst hilft.
Sie haben nach dem Studium und diversen schlechten Erfahrungen, die wir jetzt einfach ausblenden, endlich eine Stelle gefunden, die Ihnen Sicherheit, Bestätigung und Wohlbefinden bietet. Ich bin sicher, Sie werden viele Jahre lang an diese Abteilung zurückdenken. Mit Wehmut. Mit Bedauern. Mit einem Stich im Herz. Und sie dennoch als perfektes Sprungbrett nutzen, um in die nächste grössere Herausforderung einzutauchen.
Mit einem doppelten Salto
Ihr Chef vom Ganzen
Bild: 500px (CC BY 3.0)
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