Das französische E-Mail

Lieber Chef. Ich hoffe Sie verstehen, dass ich Ihnen diese Frage anonym stelle. Ich liege seit vier Tagen mit einer „Grippe“ im Bett, weil ich mich nicht mehr in die Firma traue. Mein Arbeitskollege und ich lästern ab und zu über die Sekretärin unseres Chefs. Wer mit einem Ausschnitt bis zum Bauchnabel zur Arbeit kommt, muss halt damit rechnen, finde ich. Unglücklicherweise habe ich die letzte Läster-Mail (vor fünf Tagen, kurz vor Feierabend) nicht an meinen Kollegen Alessandro geschickt, sondern an „Alle“. Jetzt wissen 87 Mitarbeitende, dass ich der Sekretärin – sollte ich Abteilungsleiter werden – als erstes Französisch beibringen würde. Wie bringe ich das wieder in Ordnung? Soll ich eine neue E-Mail an alle verfassen? Einen grossen Blumenstrauss kaufen? Männlich (48), Versicherungsfachmann

Mein lieber Gott

Dass Sie der Sekretärin Französisch beibringen möchten, ist an und für sich kein unehrenhaftes Vorhaben. Allerdings möchte ich mir nicht ausmalen, wie streng Sie die Lektionen zu gestalten gedachten. Und ob Sie als Abteilungsleiter in günstiger Position dafür wären, wage ich zu bezweifeln.

Das Einzige, was Sie jetzt tun können, ist Ihren Mann zu stehen. Nach dem französischen Grippe-Abgang heisst es nun einmal leer schlucken, frisch rasieren, den besten Anzug anziehen, ein Spritzer Old Spice und zurück auf Start. Die 87 Mitarbeitenden hatten bereits viel zu viel Zeit ihrerseits ein paar ungünstige E-Mails zu versenden.

Nach fünf Tagen dürfen Sie davon ausgehen, dass sich die Empörung gelegt, eine mitfühlende Allianz um den Bauchnabel der Sekretärin gebildet hat und die wilden Spekulationen sich nun ganz auf Sie und Ihre Reaktion konzentrieren.

Mit einem Blumenstrauss, vergessen Sie das, ist es nicht getan. Sie kaufen also einen aktuellen Dictionnaire, packen eine schöne rote Schleife drumrum und stecken eine kleine Karte mit einer herzlichen Entschuldigung dazu. Engagieren Sie, falls Ihnen immer noch der Atem stockt, einen guten Texter dafür. Das Paket legen Sie persönlich an den Arbeitsplatz der Sekretärin.

Danach versichern Sie Ihren Vorgesetzten per E-Mail, dass derart Unverzeihliches nie mehr vorkommt. Ausserdem bewegen Sie alle E-Mails von und an Alessandro auf Ihr neues privates E-Mail-Konto, das Sie schon vor Jahren hätten einrichten sollen.

Cordiales salutations
Ihr Chef vom Ganzen

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